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Visuelle Autobiographie

 

 

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Die am weitesten verbreiten Darstellungsform des eigenen Lebens repräsentiert die Praxis des privaten Fotoalbums. Aus dieser Praxis ergibt sich die Frage nach der Möglichkeit einer visuellen Autobiographie. Zunächst eine Betrachtung der Form von Fotoalbum, die gewissermaßen den "Normalfall" darstellt. Der Großteil der Fotos ist zumeist von dem Besitzer des Albums selbst angefertigt, der auch für die Zusammenstellung verantwortlich ist. Es kann somit von einer Identität zwischen dem Produzenten und dem "Protagonisten" der Darstellung ausgegangen werden. Die wenigen Abweichungen, besonders die Fotos aus dem Kleinkindalter, sind für die diese Identität unerheblich, denn auch der schreibende Autobiograph ist für die Darstellung dieses Alters auf die Erinnerungen seiner Mitmenschen verwiesen.

Die Fotos sind zumeist chronologisch angeordnet und präsentieren einen Wechsel aus wiederkehrenden Anlässen Geburtstag, Ostern, Weihnachten und "außergewöhnlichen" Ereignissen Ausflüge, Urlaub, Silberhochzeit. Daher kann die äußere Entwicklung des Subjektes und seiner Bezugspersonen an den Fotos abgelesen werden, in einem sehr weiten Sinne von einer sich andeutenden narrativen Struktur im Fotoalbum gesprochen werden. Da allerdings nur äußerliche Entwicklungen dargestellt werden können und die wenigsten Personen ihr Leben als die Abfolge der im Album konservierten Ereignisse definieren dürften, repräsentiert das Objekt Fotoalbum keine Selbstinterpretation und somit keine Autobiographie im Sinne dieser Arbeit.

Der eingeschränkte Blick auf das Objekt Fotoalbum wird jedoch der mit dem Phänomen Fotoalbum verbundenen Praxis nicht gerecht. Gemeinhin betrachtet man die Alben anderer Personen 3

mit diesen gemeinsam, wobei die Fotos vom Besitzer kommentiert werden. Die Kommentare können dabei von bloßen Wiederholungen des Offensichtlichen wie dem Hinweis auf Veränderungen in Haarlänge oder Körperumfang über Erklärungen zur jeweiligen Verfassung der Person zum Zeitpunkt der Aufnahme "Damals ging es mir" bis hin zur Erzählung der eigenen Lebensgeschichte reichen. Es ist abhängig vom konkreten Inhalt der Kommentare zu den Fotos, ob der Betrachter und Zuhörer eine Selbstinterpretation des Albumbesitzers erfährt. Insofern das Album "Authentizität" zu gewährleisten scheint und die Fotos die Erzählung strukturieren, kann somit aus der Praxis des Fotoalbums ein Akt der Autobiographie resultieren.

Ob dabei auch von einer visuellen Autobiographie gesprochen werden kann, hängt vom je konkreten Einzelfall ab: dem Verhältnis zwischen Text und Bild, dem Selbstverständnis inwieweit er sich über sein Äußeres definiert des "Erzählers" und den Erwartungen des Rezipienten. Das bloße Vorhandensein von Text bildet keinen Widerspruch zum Begriff der visuellen Autobiographie, da Fotos immer eines Mindestmaßes an zusätzlicher Information bedürfen, um vom Betrachter mit Bedeutung gefüllt zu werden. Wie sich an Nan Goldin gezeigt hatte, ist die Fotografie in der Lage, Funktionen, die auch die klassische Autobiographie erfüllt, zu übernehmen. So die Manifestation des Selbst in einem Werk, die Konstituierung der Geschichte des Individuums, die Objektivierung des eigenen Lebens.

Unabhängig davon, ob die Praxis des Fotoalbums als Praxis der Autobiographie bezeichnet wird, läßt sich festhalten: Die Darstellung des eigenen Lebens in der Form von Bildern wird gemeinhin als angemessene Form betrachtet. Die modernen Bildmedien haben somit Einfluß auf das Selbstverständnis der Subjekte und verändern das Feld der Autobiographie.

 

 



©1999 Bernd Neugebauer

 

 

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