Politik wird zunehmend zu symbolischer Politik. Dass die Auseinandersetzung immer mehr als Kampf um Bilder geführt wird, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Die Ausschreitungen im Vorfeld des G8-Gipfels waren daher voraussehbar. Dass die Klärung der Schuldfrage sich als schwieriger erweist, als am 2. Juni vor 30 Jahren kann dabei nicht wirklich überraschen. (Siehe hierzu Spreeblick)
Ausser für die Verletzen und Geschädigten profitieren „bildpolitisch“alle Beteiligten – Staatsmacht, Gipfelgegner und „Medien“ – von den Krawallen.
Steinewerfende Autonome, brennende Autos und Barrikaden liefern „stärkere“ – weil mit starken Emotionen aufgeladene – Bilder als die phantasievollsten Protestaktionen der Attac-Häkelgruppe.
Den Veranstalter des Gipfels kommen die Bilder zu pass, insofern sie unschönen Bilder von den Sperranlagen um Heiligendamm ersetzen und eine vermeintliche Rechtfertigung für ein Sicherheitskonzept liefern, bei dem die Ermöglichung der Ausübung bürgerlicher Grundrechte nicht gerade im Vordergrund stand.
Die Gipfelgegner profitieren, weil die Bilder der Ausschreitungen sich vor die geplante Idylle der heilen Gipfelwelt, in der zwischen Familienfoto und Staatsbankett die Welt gerettet wird, schieben. Den Mächtigen wird so die Macht über die Inszenierung entzogen und durch Bilder ersetzt, die in ihrer Gewaltförmigkeit zumindest symbolisch auf den unbefriedeten Zustand der Welt, die reale Gewalt in den ökonomischen Beziehungen und den Lebensverhältnissen der Marginalisierten hinweisen.
Dieser „bildpolitische“ Sieg der Machtlosen über die (nicht viel) Mächtigeren mag einer der gleichsam unterbewussten Auslöser der Gewalt im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel und ähnlichen Veranstaltungen sein.
Der Gewinn der Massenmedien ist offensichtlich: Gewalt und Zerstörung sind nun einmal Aufsehen erregender als Shakehands, Pressekonferenzen und friedliche Demonstranten. Das ist nicht als wohlfeile Medienkritik zu verstehen, sondern nun einmal die Situation in der sich Massenmedien befinden: Nachricht ist nicht das reibungslose Funktionieren der Ordnung, sondern ihre Störung.
Um Missverständnisse auszuschließen: Diese Betrachtungen sind nicht als Rechtfertigung von irgendeiner Gewalt gemeint. Sondern als Feststellungen (oder wenigstens Hypothesen). Sie stellen lediglich einen Beitrag zu meinem persönlichem Versuch da, die Vorgänge zu verstehen.
Rituelle Ratlosigkeit oder Bestürzungsbekundungen bringen schließlich überhaupt nichts. Auf Dauer führt jede Form symbolischer Politik ins Leere. Wenn es einen Weg aus der Ohnmacht gegenüber den komplexen ökonomischen und politischen Verhältnissen der Welt gibt, so kann der nach meiner Überzeugung nur im Versuch des Verstehens liegen. Sofern mir an dieser Stelle ausnahmsweise mal die Äusserung einer Utopie gestattet ist: Es kommt nicht darauf an, die Welt zu inszenieren, sondern sie zu verändern. Die Rückkehr zu einem nicht nur symbolischen politischen Diskurs wäre dafür schon mal ein Anfang.
Ich weiss, das ist naiv. Aber am Sonntagabend werde halt ich immer so idealistisch …
Nachtrag: Ich beschreibe hier nur eine Dynamik auf „bildpolitischer Ebene“. Soll heißen: die innere Logik bei der Produktion und Rezeption von über die Massenmedien verbreiteten Bildern.
Wie sich diese Dynamik in individuelles Handeln übersetzt, ist eine ganz andere Frage. Ich wollte auf jeden Fall nicht unterstellen, dass irgendwer sich bewusst hinstellt und beschließt, einen kleinen Aufstand zu starten, weil da dann „bildpolitisch“ alle von profitieren.