Wenn schulmedizinische Methoden versagen, ist Homöopathie oft die letzte Hoffnung. Das muss auch in der Prävention funktionieren, scheint sich die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gedacht zu haben und hat angesichts steigender Neuinfektionszahlen bei HIV eine neue Anzeigenkampagne gestartet, deren Motive ähnlich schwer zu entdecken sind, wie der Wirkstoff in homöopathischen Heilmitteln.
Ob – und wenn ja welche – Präventionskonzepte hinter den Anzeigen stehen, kann hier nicht beurteilt werden. Aus kommunikationsdesignerischer Perspektive verhindert die hier besprochene Anzeige mit Sicherheit ihre eigene Wirkung.
Die Kritik im Detail:
„Dass HIV auch vor dem Ausbruch von AIDS ansteckend ist, wissen 4 von 5 Deutschen. Bitte erklären Sie es dem Fünftem.”
Die Headline ist keine Headline sondern ein abgeschlossenes Abstract. Das wohl als eyecatcher gedachte „4 von 5 Deutschen” verfängt nicht: Es enthält keinerlei interesseweckende Aussage (eigentlich enthält es gar keine Aussage), weist nicht auf das Thema der Anzeige hin und trägt – grün auf grün – nur zu ihrer Unauffälligkeit bei.
Die Aufforderung, jeden Fünften zu belehren, ist sinnlos: Die Aufklärungsbotschaft zu vermitteln ist Aufgabe der Anzeige, nicht des Lesers. Ihn zum Aushilfs-Streetworker machen zu wollen, dokumentiert die Kapitulation der Macher vor dem eigenen Präventionsanliegen. Darüber hinaus darf bezweifelt werden, dass der behauptete Sachverhalt den Hauptgrund für das Ansteigen der HIV-Infektionsrate darstellt.
Dass der verwendete Schrifttyp (Impact?) seine modische Hochzeit schon ein paar Jährchen hinter sich hat und dementsprechend die Aufmerksamkeit, die schon die vergurkte Überschrift nicht wecken kann, auch nicht anzieht, fällt dann schon fast nicht mehr ins Gewicht.
Die Farbgebung:
Grün wirkt nicht immer: Dem verwendeten „Billige-Versicherungen“-Farbton fehlt im Gegensatz zur Werbung für günstige Assekuranztarife der farbliche Kontrast. Ohne Farbkontrast jedoch bleibt die Anzeige im redaktionellen Umfeld so gut getarnt, dass selbst ein Chamäleon vor Neid die Farbe verliert. (Ich habe die Anzeige auch erst beim Wegräumen des noch aufgeblätterten Spiegels entdeckt.)
Fast noch schlimmer: Der Fließtext ist in einem Grau gehalten, das im Vierfarbdruck gerastert wird und somit die Schrift unscharf (ergo: schlechter lesbar) erscheinen lässt (Siehe zum Beispiel den Abdruck der Anzeige in Spiegel 01/2006 auf Seite 25).
Die Copy:
Da hat wohl die Grafik-Praktikantin entdeckt, wie einfach Block- und Formsatz mit einem Layoutprogramm zu realisieren sind (und alles gleich ordentlich schräg gestellt). Schön für die Praktikantin. Alle anderen kennen das schon seit 20 Jahren und wollen insbesondere den Formsatz nur sehen, wenn er auch Sinn macht. Was bei einem eher sperrig formulierten Text ohne erkennbare Absätze sicher nicht der Fall ist.
Überhaupt der Text: Redundanz rules! „Das ist nicht falsch, sondern höchst riskant“ – weil Anzeigen in Form ebenso belehrender wie langweiliger Referate nur selten bis zum Ende gelesen werden. Die Kerninformation: AIDS ist immer noch ein Thema, weil die Neuinfektionsrate steigt und die Krankheit aller Pharmawerbung zum Trotz immer noch unheilbar ist, kann auch prägnanter formuliert werden.
Das i-Tüpfelchen
„Und nicht vergessen: Nur ein Kondom, dass man benützt, schützt.“ Der Texter konnte anscheinend alles außer Hochdeutsch, aber ein Reim ohne erkennbares Versmaß wird weder durch mundartliches „benützen“ noch durch die Ermahnung „nicht vergessen“ (Soll man sich einen Post-It-Zettel an den Penis heften?) eingängiger. Der auf das Auge gezielte erhobene Zeigefinger landet so direkt in der Amnesie.
Fazit: Die alte „Mach’s mit”-Kampagne mag sich in dem gefühlten Jahrtausend ihres Einsatzes abgenutzt haben, dürfte aber ihr Ziel, die Enttabuisierung des Themas Kondom ein Stück weit erreicht haben. Die Wirkung dieser Anzeige dagegen verpufft bereits vor dem Start und dürfte bestenfalls dem unterstützenden Verband der privaten Krankenversicherer dienen, der so seinem Image eine sozial-engagierte Note hinzufügen kann.