Heute beginnt die Buchmesse. Das heisst: Redaktionspraktikantinnen, die den „Megatrend auch dieses Jahr: Indische Hörbücher in Originalsprache“ beschwören, und Dichter mit und ohne Heine-Preisen und SS-Vergangenheiten auf allen medialen Kanälen; eine Woche lang die Illusion vom Dichter- und Denkerland bis zur mehrfachen Wiedergabe des vollständigen Mageninhaltes.
Buchmesse, das ist much too much of a good thing – und noch viel mehr vom Gegenteil.
Daher hilft gegen akuten Buchmessen-bedingten Literaturüberdruss die Lektüre der Buchmessen-Veranstaltungs-Ankündigungen.
Schließlich ist die Buchmesse in erster Linie Messe, in zweiter Linie Buch in allen medialen Verwertungsformen und nur ein ganz bisschen auch was mit Literatur.
Das Veranstaltungsprogramm verspricht in weiten Teilen eher Anti-Literatur. Ein schwarzes Kultur-Loch, dessen dunkle Materie, die Käufer später einmal zum dicksten Werbetisch in der Buchhandlung ziehen soll.
Wie das geht, lernt man zum Beipiel auf der Veranstaltung:
„Mit Vertriebsintelligenz® Umsätze steigern.“ Der Verlag, der Intelligenz als eingetragenes Warenzeichen schützen will, kümmert sich ebenso um das leibliche Wohl: „FOODSPORT®. Gesund und schlank trotz Zeitmangel.“ Wobei ich bei „Nahrungsmittel-Sport“ ja eher „Supersize Me“ als Wellness erwartet hätte.
Nun gut: Essen hält Leib und Seele zusammen, für alles andere gibt es:
„Werte. Was die Gesellschaft zusammenhält.“ Sollte der Zuhörer von den Wirkung der Werte nicht überzeugt sein, im Anschluss folgt: „Disziplin – das Tor zum Glück?“
Und disziplinierte Schüler dürfen dann auch Hip-Hop hören:
„Rap in der Schule – von und mit Goethe und Schiller.“ (Ist Schiller nicht eher Trance oder Ambient …?)
Falls die Schüler trotz „Rap“ immer noch „Stress machen“ wollen, hilft der Vortrag: „Meine Stressbalance – Rezepte für Vielbeschäftigte von Dr. Stress“ Leider scheint Dr. Stress selbst verhindert zu sein und lässt sich von einer Frau Schonert-Hirz vertreten.
Dafür präsentiert Dr. Stress (wahrscheinliche) Cousine „Gabi Netz“: „Leseförderung mit digitalen Medien“
Bei übertriebener digitaler Leseförderung droht allerdings: „Computersucht. Kinder im Sog der modernen Medien.“ Vielleicht sollte man doch eher den traditionellen Weg beschreiten: „Lesen lernen mit Konzept – so gut kann Schule sein.“
Oder ist das ist „mit Konzept“ gar nicht traditionell? Wohl kaum, denn auf der Buchmesse, die natürlich auch Bildungsmesse ist, feiert sich der Berufsstand selbst: „Weltlehrertag 2006 – Gute Lehrer braucht das Land (und die Welt).“
Endlich: Deutsche Lehrer urbi et orbi! Hoffentlich haben sie auch schon von der neuesten Erkenntnis der Lernforschung – bzw. der Hörbuch-produzierenden Schulverlage – erfahren: „Lernen durch Hören fördert die Konzentration.“
Hörbücher sind überhaupt wahre Alleskönner, wie folgende Veranstaltung beweist: „WELTPREMIERE: Gabriel Garcia Marquez erstmals im Hörbuch.“ Ich hoffe nur, der Literaturnobelpreisträger kann nach der Veranstaltung wieder aus dem Hörbuch befreit werden.
Und wer vom Hörbuch gar nicht genug hören kann, für den bietet die Buchmesse auch noch: „Hör-Events: Lauschen ist »in«.“ Übrigens keine Veranstaltung des Verfassungsschutzes.
Falls diese Veranstaltungen eine Vorschau auf den kommenden Bücherherbst bieten, (heiden-)reicht es mir jetzt schon.
Das schönste werden wahrscheinlich die Verrisse. Wie folgende dezidierte Nicht-Lesen!-Empfehlung aus der Zeit-Literaturbeilage:
„’Eine zu 85% wahre Geschichte‘ ist ein zu mehr als 85 Prozent schlechtes Buch.“
Was man bereits auf der Innenseite erkennt:
„Dort war nämlich ein Bild des Autors: […] Und er trug ein Lächeln, das Lächeln sagte: Ich verstehe die Frauen, und ich weiß, wie ich sie ins Bett bekomme, auf sanfte Art, mit Quatschen, ich quatsch sie auf die Pritsche, aber dann, dann gibt‘s Po-Liebe all-night long.“